Wer von uns hat sich noch nie im Laufe seines Lebens diese Frage gestellt? Die meisten mehr oder weniger erfahrenen Christen oder Personen, auf der Suche nach Geistlichkeit, werden mit der grausamen Realität des menschlichen Leidens konfrontiert, das sie an ihrem eigenen Körper oder in ihrem Umfeld erfahren. Oft ist der schreckliche Aspekt der irdischen Existenz ein wahrer Stein des Anstosses, der leider viele Menschen daran hindert, sich Gott zuzuwenden und trotz aller widrigen Umstände weiterhin geistlich zu wachsen, was immer auch geschehen mag.
Solange in unserem Leben alles gut verläuft, ist es für uns Christen leicht, an einen Gott der Liebe zu glauben, der alles getan hat, um uns zu retten. Werden wir nicht mehr gesegnet als die Ungläubigen dank unserer Zugehörigkeit zur grossen geistlichen Familie, dieser «unsichtbaren Kirche» wie Martin Luther sie nannte? Haben wir nicht einen Vorteil den Menschen gegenüber, die nicht die Hand ihres persönlichen Erlösers ergreifen wollen? Nichts scheint unser Glück zu trüben und was einige materielle Schwierigkeiten betrifft, so schaffen wir es immer noch, diese zu überwinden, solange wir uns nicht in einer Überlebensphase befinden. Aber in dem Augenblick, wo der Sturm über uns hereinbricht und allerlei Schicksalsschläge den Christen verfolgen, kann sich die Situation völlig ändern. Was bleibt dann noch von der christlichen Überzeugung? In diesen kritischen Momenten wird man sich mit aller Kraft an die göttlichen Verheissungen klammern müssen. Die Schwierigkeiten im Leben können uns entweder Gott näher bringen oder uns von ihm entfernen.
Die meisten Leiden sind aber genau gesehen die Folgen einer schlechten Wahl seitens des Menschen. Diese Fehlentscheidungen wurden bereits im 1. Buch Moses (Altes Testament) ausführlich beschrieben, wie z.B. der Zweifel an der Allmacht Gottes, der Hochmut, der Wunsch des Menschen, sich an die Stelle des Schöpfers zu setzen, die zügellose Jagd nach Macht und Ruhm, die Habgier, das Verlangen nach immer mehr Besitz und die Eifersucht (sie hat zum ersten Mord der Menschheit geführt); alle perversen Gefühle, die sich auf unserer Erde entwickelt haben, wo vor allem materielle Werte und übertriebener Wettbewerb zählen. Ein weiser Mann hat einmal erklärt, dass 90% unseres Leids auf Erden von den Menschen verursacht wird. Wenn man sich die moderne Gesellschaft genauer anschaut, erscheint diese Behauptung durchaus glaubhaft. In den meisten Fällen ist es tatsächlich der Mensch, der das Leid verursacht. Jenes, das er selbst erfahren muss oder das er anderen zufügt. Alle Medien berichten ständig über das Unglück, das oft Unschuldige trifft.
Ist Gott wirklich schuld an dem Hunger in der Welt oder wird diese Ungerechtigkeit nicht eher durch den Egoismus der Staatsmänner verursacht, die das Geld des Volkes benutzen, um Waffen zu kaufen? Ist Gott denn auch verantwortlich für die Globalisierung und die unvermeidlichen massiven Entlassungen in allen Wirtschaftsbereichen? Es würde an dieser Stelle zu weit führen, alle Leiden zu erwähnen, die auf die schlechte Wahl des Menschen zurückzuführen sind. Wer hatte sich noch nie darüber empört, es in seinem Umfeld oder sogar in seiner eigenen Familie festzustellen? Aber warum greift Gott nicht ein, um endlich Ordnung zu schaffen, um den Frieden, die Gerechtigkeit, die Liebe und die Freude wiederherzustellen, die in seinem ewigen Reich herrschen werden? Und deshalb erheben viele Leute die Fäuste zum Himmel, indem sie Gott anklagen, die Erde und die Menschheit verlassen zu haben. Wir wollen versuchen, die Gründe für sein uns anscheinend unverständliches Schweigen zu finden.
In diesem Zusammenhang gibt uns das Buch Hiob im Alten Testament einige Antworten. Hiob, ein rechtschaffener und gerechter Mann, musste die schlimmsten Leiden ertragen, die selbst unsere Vorstellungskraft übersteigen. Er ertrug nicht nur schreckliche, körperliche Leiden, sondern wurde auch von seiner eigenen Frau und seinen Freunden im Stich gelassen. Im allgemeinen schickt Gott immer in extremen Situationen eine mitfühlende Person, um denjenigen zu trösten, der sich am Rande des Abgrundes befindet. Aber das traf nicht für Hiob zu, der ein typisches Beispiel für unverschuldetes Leiden und Geduld ist. Seine Erfahrung und sein Endsieg müssen uns nachdenklich stimmen. Ganz offensichtlich hatte Hiob die richtige Wahl getroffen, weil er nie aufgegeben hatte, Gott zu vertrauen. In guten und in schlechten Zeiten hatte er eine absolute Treue gezeigt, die ein Beweis dafür war, dass er nicht aus eigenem Interesse gehorcht hatte.
Ausserdem müssen wir im scheinbaren Schweigen Gottes die Freiheit der Wahl erkennen, die er allen Menschen gegeben hat, d.h. die Möglichkeit, zwischen Gut und Böse zu entscheiden; die Freiheit, auf seinem Wege zu gehen oder ihn nicht als Herrn und Gesetzgeber anzuerkennen. Ein Begriff, der vor allem in dem Gleichnis vom «verlorenen Sohn» (Lukas 15.11-32) anschaulich gemacht wird. Im Gegensatz zum ältesten Sohn in dieser Parabel hatte es der Jüngere vorgezogen, sich gegen seinen Vater aufzulehnen. Ein Vater, der trotz allem barmherzig ist und geduldig darauf wartet, dass sein Sohn heimkehrt, nachdem dieser bereits vor dem Abgrund gestanden hat. Wegen seiner geduldigen Liebe gibt Gott auch den Sündern, d.h. allen, die sich nach einer schlechten Wahl verirrt haben, die nötige Zeit, Busse zu tun, bevor er ihnen vergibt und sie schliesslich ohne Vorbehalt in sein Reich aufnimmt.
Indem Gott den Menschen die Freiheit gewährte, hat er freiwillig seine Allmacht begrenzt und das Risiko auf sich genommen, seine Kreaturen an den Widersacher zu verlieren. Die bedingungslose Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen beschränkt sich jedoch nicht nur auf diese Entscheidungsfreiheit. Da er im voraus wusste, welch einen tragischen Gebrauch die Menschen davon machen könnten und was sie folglich daran hindern würde, das ewige Leben zu erlangen, hatte er schon vor der Schöpfung des Menschen seinen Erlösungsplan für die Menschheit aufgestellt.
Die Bibel berichtet uns mit einfachen Worten über den Erlösungsplan der verlorenen Kreatur dank eines Gottes und Retters zugleich. Es ist ein unergründliches Geheimnis, das der Apostel Johannes in seinem Evangelium, im 3. Kapitel, Vers 16 hervorragend zusammengefasst hat. Dort können wir lesen: «Gott liebte die Menschen so sehr, dass er seinen einzigen Sohn hergab. So wird jeder, der sein Vertrauen auf den Sohn Gottes setzt, nicht zugrunde gehen, sondern ewig leben». Welch eine beruhigende und tröstliche Botschaft von einem Gott, der seine Geschöpfe so sehr liebt, dass er sogar seinen einzigen Sohn dem Opfertod preisgibt, um uns aus den Klauen des Gegners zu reissen und uns das ewige Leben in seiner Gegenwart zu gewähren! Darum hat er es erlaubt, dass Jesus Christus zu uns auf die Erde heruntergekommen ist. Sein Tod am Kreuz trotz seiner Unschuld und seine Auferstehung waren ein einmaliger Sieg über das Böse und die Garantie für unsere eigene Auferstehung und das ewige Leben. Diesbezüglich hat der Pfarrer Roland de Pury behaupten können, dass «im Anblick des Leidens auf der Welt Gott nicht die Hände in den Schoss legt, sondern sie an das Kreuz nagelt».
Obwohl es auf dieser Welt keine Vollkommenheit gibt, kann derjenige, der beschlossen hat, Jesus Christus als Vorbild zu nehmen, mit Hilfe seines Heiligen Geistes über die alte sündige Natur siegen, wie immer auch sein Zustand sein mag und was immer auch geschehe. Gott hat es uns versprochen, indem er durch den Propheten Hesekiel erklärte: «Ich gebe euch ein neues Herz und einen neuen Geist» (Hes. 36.26). Es genügt also, Gott zu bitten, durch seinen Heiligen Geist in uns zu wirken und in unserem Alltag einzugreifen... selbst wenn er anscheinend nur langsam unser Gebet erhört.
Nein, Gott ist nicht gleichgültig gegenüber dem Bösen auf der Erde. «Im Gegenteil: Er hat Geduld mit euch, weil er nicht will, dass einige zugrunde gehen. Er möchte, dass alle Gelegenheit finden, von ihrem falschen Weg umzukehren» (2. Petrus 3.9). Nein, Gott ist unseren Prüfungen gegenüber nicht gefühllos, aber manchmal fordert er auch von uns Geduld... damit seine Antwort auf unsere Gebete noch eindrucksvoller ist. Was gibt es also Einfacheres, als die Hand von Jesus zu ergreifen, diesen einzigen «Rettungsring», um wohlbehalten auf der neuen Erde anzukommen! Dort wird Gott endlich mit den Menschen wohnen, «er wird alle ihre Tränen abwischen. Es wird keinen Tod mehr geben und keine Traurigkeit, keine Klage und keine Quälerei mehr» (Offenbarung 21.4). Bis zu diesem wunderbaren Tag, an dem das Leid für immer verschwunden ist, müssen wir jedoch den guten Kampf des Glaubens führen.
Karin Bouchot |