Eines Tages gewährte ein Staatsoberhaupt einem zum Tode verurteilten Gefangenen die Freiheit. Diese Amnestie sorgte in den Medien für Schlagzeilen. Der Mann, der ganz unerwartet wieder auf freien Fuss gesetzt worden war, blieb ihm sein ganzes Leben lang dankbar dafür. Ein unverdientes Geschenk fiel ihm regelrecht vom Himmel. Endlich konnte er wieder ein neues Leben anfangen, und er hatte von nun an wirklich keine Lust mehr, seinen ehemaligen liederlichen Lebenswandel zu führen. Diese unerwartete Entscheidung «von oben» hatte ihn völlig verwandelt, so dass er jetzt ein nützliches Mitglied für seine Familie und sein Umfeld wurde. Er erzählte jedem, der es hören wollte, von seiner wunderbaren Erfahrung. Sagt nicht ein Sprichwort: «Sein Mund spricht nur aus, was sein Herz erfüllt» (Lukas 6.45). Von nun an hatte er einen Sinn in seinem Leben gefunden und war in der Lage, jeden Augenblick seiner Existenz zu schätzen. Nicht das Gefängnis, sondern ein unverhoffter Straferlass hatte diesen verkommenen Mann verwandelt.
Die gleiche Geschichte spielte sich auch vor über 2000 Jahren auf unserer Erde ab, aber sie war noch wunderbarer! Anstatt eines einzigen Gefangenen wurde sogar die ganze Menschheit durch eine bedingungslose Liebestat begnadigt. Es war nicht der Gnadenakt eines Staatsmannes, sondern der von Gott, in Jesus Christus offenbart, der schon mehrere Jahrhunderte zuvor angekündigt worden war (Jesaja 53). Dieser versprochene Messias (1) des Alten Testamentes hatte es akzeptiert, die menschlichen Lebensbedingungen und alles Leid auf unserer irdischen Welt zu ertragen, um die Menschen aus der Gefangenschaft des Bösen zu befreien. Die Gnade Gottes (ein unverdientes Geschenk) ist die «Quelle des Heils für alle Menschen» (Titus 2.11). Sie schliesst den Wunsch nach Gerechtigkeit durch die menschlichen Werke aus und verwandelt alle, die Gottes Gnade annehmen.
Gottes Gnade allein ist das Heil der Menschen
Jesus Christus, Gottes Sohn, der Menschensohn geworden ist, hat auf alles verzichtet, sogar auf sein Leben, um die Menschheit zu retten, ein für uns unvorstellbarer Plan! Anders gesagt, er hat die Strafe, die seine Geschöpfe wegen ihrer Sünden eigentlich verdient hätten, auf sich genommen. Christus hat deshalb den schrecklichsten Tod, die Kreuzigung, akzeptiert, um den Preis unserer Gesetzesübertretungen zu bezahlen. Aber der Tod (gem. der Heiligen Schriften der Lohn der Sünde) konnte ihn, der völlig unschuldig war, nicht im Grab gefangen halten. Daher hat Gott ihn zum Leben erweckt... und gleichzeitig alle diejenigen, die seine Gnade empfangen. In seinem Brief an die Epheser erklärt der Apostel Paulus, wie Gott seine Kreaturen dem geistlichen Tod entreisst: «Aber wie sah euer Leben früher aus? Ihr seid Gott gegenüber ungehorsam gewesen und habt gegen ihn rebelliert [...] Aber Gottes Barmherzigkeit ist so gross, [...] dass er uns mit Christus neues Leben schenkte. [...] Das verdanken wir allein der Gnade Gottes. Durch den Glauben an Christus sind wir dem Tod entrissen und haben einen Platz in Gottes Reich. So will Gott in seiner Liebe zu uns, die in Jesus-Christus sichtbar wurde, für alle Zeiten die Grösse seiner Gnade zeigen» (Epheser 2.1-7, Hoffnung für Alle, das Neue Testament, Sonderausgabe 2000).
Die göttliche Gnade ist ein so unfassbarer Plan, dass er tatsächlich den menschlichen Verstand übersteigt... deshalb akzeptieren ihn auch viele Menschen nicht ohne weiteres! Und dennoch unterstreicht die Heilige Schrift ständig diese göttliche Eigenschaft, die im Grunde genommen das Hauptthema des Evangeliums ist (das Wort «Gnade» kommt mehr als 160 Mal in der Bibel vor). Die Gnade ist der Beweis der Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen: «Denn Gott hat die Menschen so sehr geliebt [schreibt der Apostel Johannes] dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab. Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben» (Johannes 3.16). Obwohl wegen der Sünde alle Menschen den Tod verdienen, wird allen die Gnade eines liebenden Gottes angeboten... die Schuld eines jeden wurde schon vom Schöpfer bezahlt, das ist die gute Nachricht des Evangeliums!
Durch seinen Tod und seine Auferstehung (drei Tage später, wie er es seinen Jüngern angekündigt hatte) rettete Christus nicht nur einen Häftling, sondern gleich die ganze Menschheit. Diese gute Nachricht hatte das Leben seiner Jünger völlig verändert, bevor sie und ihre Nachfolger diese Botschaft in der ganzen Welt verkündigten. Aber ist es wirklich so leicht, dieser göttlichen Gnade Vertrauen zu schenken? Vielleicht wäre jemand bereit, für einen guten Menschen zu sterben, doch wer würde schon sein Leben für schlechte Leute opfern? Sicherlich niemand! Diese unbegreifliche Liebe übersteigt unser Fassungsvermögen und hindert uns oft daran, dieses unverdiente Geschenk zu akzeptieren. Dennoch ist seine Annahme die einzige Heilsbedingung, wie es klar in der Apostelgeschichte ausgedrückt wird «Glaube an den Herrn Jesus, dann wirst du mit deiner Familie gerettet» (Ap.16.31).
Die Gnade schliesst die verdienstlichen Werke aus
Doch nun zurück zu unserem zum Tode verurteilten und begnadigten Gefangenen. Sicherlich hatte er beim Lesen des Amnestiebeschlusses einen Freudensprung gemacht. Ganz gewiss hatte er die Worte des Gefängnisdirektors gut verstanden, der ihm erklärte, sich auf seine Freilassung vorzubereiten. Natürlich hatte er es nicht vorgezogen, weiterhin wie ein Häftling an diesem menschenunwürdigen Ort zu bleiben. Wir als Christen, die «wir durch den Glauben von unserer Schuld freigesprochen sind...» (Römer 5.1), sind wir uns wirklich dieses einmaligen Heils bewusst, wie dieser Mann, der von seiner Befreiung erfuhr? Nachdem wir seit langem diese Heilsbotschaft dank des Glaubens entdeckt und angenommen haben oder sie vielleicht erst vor kurzem empfangen haben, wie verstehen wir diese gute Nachricht tatsächlich? Wie praktizieren wir sie in unserem täglichen Leben? So besteht z.B. die Versuchung, das Christentum wie eine Religion der Förmlichkeit (dem Buchstaben nach) zu leben, d.h. auf intellektuelle Weise. Wir haben die historisch-religiösen Tatsachen gut verstanden und sind sogar davon überzeugt, aber innerlich hat uns der Geist Gottes noch nicht völlig verwandeln können.
Vielleicht haben wir eine gewisse Zurückhaltung bewahrt, eine kleine Ungewissheit. Aus diesem Grund zögern wir, uns vertrauensvoll – wie kleine Kinder – Gott zu nähern, um ihn um Vergebung zu bitten. Wir wollen auf keinen Fall unsere völlige Ohnmacht anerkennen, den Himmel allein verdienen zu können. So versuchen wir lieber, schwer zu arbeiten, um das versprochene ewige Leben zu verdienen. Mit anderen Worten: wir hören uns die gute Nachricht von dem kostenlosen Heil allein durch den Glauben an Jesus Christus an und verhalten uns weiterhin wie Gefangene, die alles unternehmen, um ihre Befreiung zu verdienen! Kurz gesagt, unser menschlicher Hochmut hindert uns daran, das kostenlose ewige Leben mit Freuden anzunehmen, sondern motiviert uns eher dazu, dieses Heil durch unsere eigenen Werke zu erreichen!
Der Apostel Paulus gibt uns in mehreren Briefen zu verstehen, dass wir das Heil nur durch den Glauben an Christus erlangen und nicht durch den Gehorsam gegenüber dem Gesetz: «Trotzdem wissen wir sehr genau, dass wir nicht durch gute Werke, wie das Gesetz sie von uns fordert, vor Gott bestehen können, sondern allein durch den Glauben an Jesus-Christus» (Galater 2.16). «Dass aber niemand durch das Gesetz Anerkennung bei Gott finden kann, ist klar. Denn es heisst: «Nur der wird Gottes Anerkennung finden und leben, der ihm vertraut» (Galater 3.11). «Denn durch seine unverdiente Güte seid ihr vom Tod errettet worden. Ihr habt sie erfahren, weil ihr an Jesus-Christus glaubt. Aber selbst dieser Glaube ist ein Geschenk Gottes und nicht euer eigenes Werk. Durch eigene Leistungen kann man bei Gott nichts erreichen. Deshalb kann sich niemand etwas auf seine guten Taten einbilden» (Epheser 2.8-9).
Die Gnade verwandelt den Gläubigen
Bei den begnadigten Christen müsste man natürlich die gleichen Folgen feststellen wie bei dem begnadigten Gefangenen. Die Tatsache, dass jetzt ein neues Leben mit einem hohen Ideal beginnen kann und das Vergangene von einem liebenden Retter ausgelöscht und vergeben wurde, müsste uns dazu anspornen, ihm durch Taten der Dankbarkeit und nicht durch verdienstliche Werke zu gefallen. Sogar diese «guten Taten hat Gott seit langem für uns vorbereitet» (Epheser 2.10, Alfred Kuen). Wenn wir die göttliche Gnade akzeptieren, ist Gott in uns am Werk. «Er selbst bewirkt ja beides in euch: den guten Willen und die Kraft, ihn auch auszuführen» (Philipper 2.13, A. Kuen).
Unsere Gesichter müssten, völlig verändert, endlich strahlen, damit sich die Leute aus dem Umfeld über diese unerklärliche Verwandlung Fragen stellen. Nachdem wir das wahre Leben in Hülle und Fülle erhalten haben, können wir folglich nicht länger schweigen so wie die ersten Jünger von Christus. Unser höchstes Ziel wäre es dann, diese gute Nachricht bei jeder Gelegenheit zu verbreiten, aber nicht mit der Absicht, unsere Freunde und Bekannten in eine bestimmte Kirche zu bringen, sondern vor allem zum Kreuz des Erlösers, Jesus Christus.
«Tatsächlich ist Gottes Gnade eine Heilsquelle für alle Menschen geworden. Sie ist auf unserer Erde wie eine Sonne aufgegangen und hat so die ganze Menschheit erhellt und allen die Möglichkeit gegeben, von der Sünde befreit zu werden. Sie will uns erziehen und uns dazu bringen, uns von jeglicher Gottlosigkeit zu trennen, sich von allen Leidenschaften und irdischen Begierden loszusagen und auf die Jagd nach dem Vergnügen zu verzichten. Sie lehrt uns, mit Weisheit, Zurückhaltung und Selbstbeherrschung in dieser Welt zu leben und in Rechtschaffenheit und Ehrenhaftigkeit vor Gott. Sie erfüllt unsere Herzen mit der sehnsüchtigen Erwartung der Verwirklichung unserer glückseligen Hoffnung: die majestätische Ankunft unseres mächtigen Gottes und Retters Jesus-Christus. Hat er sich nicht selbst für uns geopfert, um das Lösegeld für alle unsere Ungerechtigkeiten zu bezahlen und uns auf diese Weise von der Knechtschaft der Sünde loszukaufen, mit dem Ziel, ein vom Bösen gereinigtes Volk zu schaffen, das nur ihm gehört und alles daran setzt, das Gute zu tun» (Titus 2.11-14, A. Kuen)
Karin Bouchot |