Ehrlich
gesagt ist es nicht einfach, sich vorzustellen, dass Gott segnen und
zugleich das Leid anscheinend zulassen kann. Vielleicht denken wir
oft auch, unser Glaube könne uns vor Krankheiten bewahren, vor
allerlei Schicksalsschläge und manchmal sogar vor einem frühzeitigen
Tod. Niemand ausser einem seelisch gestörten Menschen hätte
das Verlangen, bewusst leiden zu wollen. Trotzdem kann das Leid demjenigen
wertvolle Lektionen erteilen, der es als eine göttliche Erziehungsmethode
ansieht, um ihm ein geistliches Wachstum zu ermöglichen. Die berühmten
christlichen Komponisten der letzten Jahrhunderte waren oft vom Leid,
der Armut und dem Nichtverstandensein geplagt. Aber wahrscheinlich
waren es gerade diese Umstände, die zu ihrem musikalischen Genie
und der transzendenten Schönheit ihrer manchmal sogar unvollendeten
Kompositionen beigetragen haben.
Die gläubigen Männer, von denen die Bibel spricht, wie z.B. Paulus
und Timotheus, fielen manchmal der Krankheit zum Opfer. Trotzdem waren sie
von Gott gesegnete, bewundernswerte Menschen. Der Apostel Paulus teilt uns
in der Bibel seine Erfahrung mit, indem er erklärt, dass er viel zu Gott
gebetet hat, um von seinem Leiden erlöst zu werden. Er wurde aber zu unserem
Erstaunen nicht von Gott geheilt, der ihm lediglich antwortete:
«Du
brauchst nicht mehr als meine Gnade, denn je schwächer du bist, desto
stärker erweist sich an dir meine Macht» (2. Korintherbrief, Kapitel
12, Vers 9). Der Apostel akzeptierte sogar diesen unverständlichen Beschluss
Gottes, weil er davon überzeugt war, dass Gott ihm dieses schwere Leiden
auferlegt hatte, damit er nicht überheblich werde. Im Vers 10 des gleichen
Kapitels ging er sogar so weit zu sagen «weil er mir zur Hilfe kommt,
freue ich mich über mein Leiden, über Misshandlungen, Notlage, Verfolgungen
und Schwierigkeiten. Denn gerade wenn ich schwach bin, bin ich stark».
Welch ein unerschütterlicher Glaube an Gott!
Wenn Gott nicht unter normalen Umständen das erreicht, was er von uns
erwartet, erlangt er es anscheinend oft mit Hilfe eines Schicksalsschlages
oder einer Krankheit. Wir wollen natürlich damit das Böse nicht rechtfertigen,
aber ganz allgemein feststellen, wie uns Schicksalsschläge unsere körperlichen
und geistlichen Schwächen bewusst werden lassen. Leider flehen wir Gott
meistens nur dann an, uns vom Übel zu erlösen, wenn alles um uns
herum zusammenzubrechen droht. Erst in diesen tragischen Situationen kann er
uns auch in unserem Innersten berühren und uns zu verstehen geben, dass
z.B. die Krankheit einfach nur die Folge von der Missachtung einer gesunden
Lebenshygiene (Arbeit, Erholung, Vermeiden von unnötigem Stress u.s.w.)
und einer ausgewogenen, vernünftigen Ernährung sein kann.
Im Grunde genommen erträgt auch Gott persönlich den menschlichen
Schmerz – das Kreuz von Golgotha hat es genügend bewiesen – aber zu guter
letzt lässt er niemals zu, dass wir zerstört werden und in geistlicher
Finsternis leben müssen. Im Gegenteil, so behauptet Hiob, ein vollkommenes
Modell der leidenden Menschheit,
«wer aber leidet, wird durchs Leid gebessert; Gott öffnet ihm die Augen durch die Not» (Hiob 36.15).
Marcel Henocq |