Warum bin ich auf dieser Welt? Was ist das Ziel meines Lebens, wenn doch alles nur mit dem Tod endet und die Hoffnung des Menschen dadurch begraben wird? Wer hat sich noch nie diese existentiellen Fragen gestellt? Müssen wir die rein materialistische Antwort akzeptieren, wonach alles, was lebt, wie die verwelkten Blumen auf den Feldern vergänglich ist? Angesichts dieses Dilemmas versuchen viele, sich damit abzufinden und von heute auf morgen zu leben. Sagt nicht ein altes Sprichwort: «Lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir» (Jesaja 22.13)? Dennoch gibt es auch Männer und Frauen, die sich gegen diese schmerzliche Idee auflehnen und ein Ideal anstreben, das über allen materiellen Forderungen des Alltags steht. Auf der Suche nach dem Absoluten (vielleicht nach dem verlorenen Paradies) wenden sie sich dem Religiösen zu, einer Kirche oder einer Gruppe von Gläubigen in der Hoffnung, dort seriöse Antworten zu finden und geistliche Fortschritte zu machen.
Hierbei ist zu bemerken, dass diese Suche anfangs einen gewissen Mut und Ausdauer erfordert, da viele tatsächlich vom familiären, kulturellen und religiösen Umfeld geprägt sind, das nur schwer in Frage gestellt werden kann. Gleichzeitig ist es erstaunlich, dass besonders in Frankreich die Christen im allgemeinen so diskret sind... verglichen mit anderen Gläubigen, die dem gleichen Gott dienen, ganz zu schweigen von den Mitgliedern der politischen Parteien! Diese Zurückhaltung der Christen hilft nicht gerade denjenigen, die sich Fragen über das Christentum stellen. Ihre ängstliche Haltung fördert natürlich nicht besonders die Verbreitung der Heilsbotschaft, obwohl es doch für die Christen eine schöne und edle Sache ist, sich dafür einzusetzen!
Eine einzige Kirche Gottes, aber verschiedene Religionsgemeinschaften
Auf Grund der Vielfalt des Christentums können die Gottessuchenden wirklich ratlos sein. Wie sollen wir die aktuelle Mannigfaltigkeit der christlichen Kirchen verstehen, obwohl uns das Neue Testament klar lehrt, dass es nur eine einzige Kirche geben kann? Hinzu kommen noch geringfügige doktrinäre Unterschiede, deretwegen sich die Gläubigen entzweien. Obwohl es nicht darum geht, den Verlauf dieses langsamen und schmerzlichen Prozesses der Differenzierung und Trennung zu schildern – ein Thema, das wir übrigens woanders behandeln – wollen wir an dieser Stelle nur einige Bemerkungen zu diesem Phänomen machen.
Es erklärt sich vor allem dadurch, dass die ursprüngliche Kirche im Laufe der Zeit ihre «Jugendfrische» verloren hat und sich allmählich von ihren Wurzeln entfernt hat. Anders gesagt: sie hat sich von der Reinheit der Lehre Christi und seiner Apostel abgewandt (1). Eine grosse religiöse Bewegung, wie ein Wirbelsturm im 16. Jahrhundert, fordert die Kirche auf, zur biblischen Basis zurückzukehren. Von nun an beginnt das Christentum tatsächlich vielfältig zu werden; eine Entwicklung, die sich im Laufe der Zeit weiterhin beschleunigt. Vor allem ab dem 18. Jahrhundert entstehen durch die religiösen Erweckungsbewegungen im protestantischen Milieu sehr viele neue Glaubensgemeinschaften. Kurz gesagt: die unterschiedlichen Reformen, um zum ursprünglichen Christentum zurückzukehren, erklären auch die Verschiedenartigkeit der religiösen Gemeinden. Nicht zu vergessen sei auch die auf Veranlassung der Protestanten entstandene Ökumene, Anfang des 20. Jahrhunderts, eine weltweite Bewegung, deren Hauptziel die Suche nach der Einheit der Christen ist, um mit den verschiedenen Kirchen enger zusammenzuarbeiten.
Die protestantische Vitalität
Auch heute noch können wir die anhaltende protestantische Vitalität bemerken: «Die protestantische Kultur (betont der Historiker und Soziologe Jean Baubérot), als Erbe der theologischen Begriffe der Reformation, hat ein Individuum geschaffen, das in der Lage ist, sich in der Kirche und in der Gesellschaft zu engagieren, ohne das Heil von der einen oder anderen zu erwarten. Dieser Menschentyp bewahrt immer eine gewisse Distanz zu seinen Verpflichtungen und seinem Gefühlsleben, um die persönliche Beziehung zu Gott zu bewahren. Seine Anpassungsfähigkeit, in einem Milieu der Verweltlichung und der Ökumene weiterhin neue Eigenarten zu bilden und seine eigenen Werte zu aktualisieren, wird es dem Protestantismus erlauben, immer noch Träger einer "besonderen Berufung" zu sein (2).»
Ein gemeinsames Glaubensbekenntnis für alle Christen
Wir können schliesslich feststellen, dass die drei grossen christlichen Konfessionen (Katholizismus, Orthodoxie und Protestantismus) gemeinsame grundlegende Merkmale aufweisen, die ihr Verwandtsein bestätigen. So sind diese drei Religionsgemeinschaften vor allem mit dem Text des Bekenntnisses von Nicäa (im Jahre 325 verfasst) einverstanden, was man oft verschweigt; ein Dokument, das man als das erste ökumenische Glaubensbekenntnis betrachtet und das auch heute noch aktuell ist. Wie wir in dieser ökumenischen Version sehen können, fasst dieses Bekenntnis das Wesentliche des christlichen Glaubens zusammen: «Ich glaube an Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde. Und an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel;
er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters;
von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten. Ich glaube an den Heiligen Geist,
die heilige christliche Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden,
Auferstehung der Toten
und das ewige Leben. Amen.»
Die Vielfalt als Bereicherung
In einem von der Bischofskonferenz des katholischen Indiens veröffentlichten Dokument konnten wir lesen: «Die Vielzahl der Religionen ist die Folge des Reichtums in der Kreation selbst und der unendlichen Gnade Gottes. Obwohl alle den gleichen Ursprung haben, nahmen die Völker das Universum verschieden wahr und drückten das göttliche Mysterium auf unterschiedliche Weise aus. Gott war sicherlich bei diesen historischen Werken seiner Kinder gegenwärtig. Eine derartige Mannigfaltigkeit sollten wir deshalb keinesfalls bedauern, sondern sie eher als ein göttliches Geschenk anerkennen (3).»
Selbst wenn die Varietät im Christentum anscheinend einen grossen Reichtum hervorbringt, glauben wir trotzdem, dass die Personen, die eine Gemeinde suchen – wenigstens am Anfang – nicht auf die doktrinären Unterschiede in den verschiedenen Kirchen achten sollten, sondern vor allem auf die Grundprinzipien des Glaubens. Dies bestätigt auch der berühmte protestantische Prediger aus den U.S.A. Billy Graham: «Untersuchen sie die Glaubensbekenntnisse der verschiedenen Kirchen, und sie werden feststellen, dass fast alle im wesentlichen und historisch gesehen identisch sind. Sie können sich wegen ihrer Riten unterscheiden und den Anschein erwecken, theologische Besonderheiten hervorzuheben. Aber als Basis erkennen sie alle an, dass Jesus Christus der menschgewordene Gott ist, der am Kreuz starb und auferstanden ist, damit wir das Heil erlangen können. Und genau das ist die wichtigste Tatsache für die gesamte Menschheit (4).»
Keine Kirche ist vollkommen
Aus doktrinärer Sicht hängt die Glaubwürdigkeit einer Kirche nicht von ihrer zahlenmässigen Überlegenheit ab, sondern von ihrer Verwurzelung im Evangelium. Deshalb sollte bei der Wahl einer christlichen Kirche die Treue zu den Heiligen Schriften eines der wichtigsten Kriterien sein. Mit anderen Worten: die erste Garantie, die eine religiöse Lehre geben muss, ist die Treue zu seinem Ursprung, d.h. für die christliche, zur Bibel (5). Die Verankerung in der Heiligen Schrift und nur in ihr allein sollte deshalb das wichtigste Kriterium bei der Wahl einer christlichen Kirche sein. Vor dem Kauf eines Hauses oder Wagens verbringen wir manchmal viel Zeit, um uns ein Urteil darüber zu bilden. Umso mehr müsste es auch der Fall sein, wenn man diese entscheidende Wahl im religiösen Bereich treffen will, zumal unser ewiges Leben davon abhängt. Leider ziehen wir es oft vor, uns an unser kulturelles und religiöses Umfeld anzupassen und die Rolle zu spielen, die man uns aufzwingt. Aber vergessen wir nicht, dass Gott diese Einstellung nicht akzeptiert! Erklärte er denn nicht im Brief des Paulus an die Römer: «Was aber nicht aus dem Glauben kommt, das ist Sünde» (Römer 14.23)! Übrigens schrieb der gleiche Verfasser auch: «Der Glaube kommt allein aus dem Hören der Botschaft; die Botschaft aber gibt uns Christus» (Römer 10.17). Also kann weder die Lehre eines Priesters noch eines Pfarrers den Gläubigen aufklären und retten, wenn diese nicht mit dem biblischen Text übereinstimmt!
Wie gesagt, angesichts der verkrusteten Doktrinen wünschen heute immer mehr enttäuschte Christen aus allen Glaubensgemeinschaften, dass ihre Kirche endlich eine Reform einleitet und sich wieder an ihre erste Berufung, die apostolische Mission, erinnert. Aber leider müssen alle Kirchen nach einer jahrhundertelangen Existenz meistens unvermeidbare Probleme bewältigen, wie z.B. ihre Verwandlung in eine Institution und die Verweltlichung, also beides Hindernisse für jegliche Reform! Im Verlauf ihres Alterungsprozesses scheint aber keine von ihnen in der Lage zu sein, schnell und signifikant zur ursprünglichen Reinheit des Evangeliums zurückzukehren. Muss man deshalb ein Versagen in der christlichen Welt feststellen? Sicherlich nicht. Der Geist Gottes wirkt weiterhin in den Herzen von Männern und Frauen, die entschlossen sind, zu den Quellen des Christentums zurückzukommen. Indem sie die Schriften als den einzigen Masstab und Christus als ihren einzigen Chef betrachten, versuchen sie, sich von all dem zu befreien, was ihrem geistlichen Werdegang im Wege stehen könnte.
Wie dem auch sei, selbst wenn die Kirche sich in ihrer Lehre der ursprünglichen Reinheit nähert, wird sie doch immer nur ein unvollkommener Mittler für das geistliche Wachstum der Christen sein, aber nie das eigentliche Ziel (6). Wir können die Kirche mit einer Art Krücke vergleichen, die es dem Gläubigen ermöglicht, in der Kenntnis der Heilslehre Fortschritte zu machen und von seiner vererbten Tendenz zum Sündigen geheilt zu werden. Lasst uns deshalb die beste «Krücke» wählen und die besten Assistenten (Priester, Pfarrer und andere christliche Leiter) des obersten Arztes der Menschheit, Christus.
Karin Bouchot |
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1. So haben im Laufe der Jahrhunderte menschliche Traditionen zum grossen Teil die biblischen Weisheiten ersetzt, wie es 1999 eine Gruppe hoher Würdenträger des Vatikans mit Namen «Les Millénaires» mit folgenden Worten ausdrückte und deren Buch lange zu den Bestsellern gehörte: «Nichts als Überreste, die während 2000 Jahren Ablagerung angehäuft und in Doktrinen verwandelt wurden! [...] Unsere Geistlichkeit [muss] von den Krusten der Zeit befreit werden, um ihre biblischen und evangelischen Quellen wieder zu finden und sie aus der Knechtschaft der Bequemlichkeit heraus zu reissen, in der sich alle religiösen Familien wohlfühlen; eine äusserst revolutionäre Aufgabe, die man auf keinen Fall aufschieben sollte» (Die Gruppe «Les Millénaires», Le Vatican mis à nu, französische Übersetzung, Robert Laffont, Paris 2000, S. 14, 319). Diese scharfe Bemerkung gilt leider auch vielen protestantischen Kirchen, die sich bemühen, die Bibel und die Tradition in Einklang zu bringen, ohne Rücksicht darauf, dem Nachruf derjenigen zu schaden, die wegen der Verteidigung der Wahrheit gelitten haben. Tatsächlich nimmt die Einheit der Christen sie mehr in Anspruch als die Sorge um die Treue zum Worte Gottes. Sind diese Protestanten etwa nicht mehr von der schriftlichen Grundlage ihres eigenen Glaubens ganz überzeugt?
2. Jean Baubérot, Histoire du protestantisme, PUF, 1990, S. 121-122.
3. Jacques Dupuis, Vers une théologie chrétienne du pluralisme religieux, Cerf, 1997, S. 478, cité par Delumeau Jean, Guetter l'aurore, Grasset & Fasquelle, 2003, S. 220-221.
4. Billy Graham, La paix avec Dieu, Ed. des Groupes Missionnaires, 1969, S. 203.
5. Die ganz allein (sola scriptura) die Grundlage des christlichen Glaubens darstellen sollte. Übrigens müssen wir zugeben, dass alle Christen (Katholiken, Protestanten und Orthodoxen) mindestens einen Punkt gemeinsam haben. Sie haben immer die göttliche Eingebung der Bibel gelten lassen und sie als das geschriebene Wort Gottes anerkannt. Genau gesagt bedeutet diese unbestreitbare Autorität der Schrift deshalb noch lange nicht, dass man alles, was nicht von ihr stammt, ablehnen oder verurteilen muss. Aber die nicht-biblischen Schriften, die Tradition, lehrreiche Kommentare und andere Reden müssen im Bezug auf die Bibel beurteilt werden, weil sie die oberste Regel für den Glauben und das Benehmen des Christen geworden ist; die absolute Instanz im theologischen, ethischen und kirchlichen Bereich. Kurz gesagt: diesbezüglich sollte man sich einfach nur an die Warnung von einem der Verfasser (und nicht gerade dem geringsten) der Heiligen Schrift erinnern: «Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen» (Apostelgeschichte 5, Vers 29)!
6. Vor einigen Jahren konnte man in einer Fachzeitschrift folgenden Werbespot lesen: «Da die Vollkommenheit nicht auf dieser Welt existiert, ist die Qualität unserer Produkte fast vollkommen.» Das gleiche gilt für die Kirche, eine ziemlich unvollkommene, menschliche Organisation, die sich im allgemeinen im Bau befindet, manchmal im schlechten Zustand und nur selten im Fortschritt (im Sinne einer Rückkehr zu den ursprünglichen Quellen), die aber niemals auf dieser Erde das Niveau der idealen Kirche erreichen wird. Diesbezüglich hat auch ein Professor der Theologie, Richard Hammill, behaupten können, «dass keine Kirche unfehlbar ist und keine christliche Gruppe ein ganz korrektes Verständnis des heiligen Textes besitzt, denn niemals wird ein Denksystem in der Lage sein, alle verschiedenen Aspekte des religiösen, wissenschaftlichen oder philosophischen Lebens im unendlichen und komplexen Universum des Allerhöchsten zu begreifen». |