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Das Gleichnis vom verlorenen Sohn

 
 
«Jeder kann sich mühelos im Sohn erkennen, der in die Fremde zog, Heimweh hatte, als er sich in einer schwierigen Lage befand und wieder heimkam, wo ihm ein unerwarteter und unverdienter Empfang bereitet wurde. Mit diesem Gleichnis wollte Jesus zeigen, dass Gott ein Vater ist, der seine Kinder liebt, selbst wenn sie sündigen. [...] Man kann sich fragen, ob es ein klareres und anschaulicheres Mittel gibt, Gott den Vater darzustellen, der uns liebt   und wie sehr er uns liebt (1)» (Antonio Buoncristiani).
 
 

In diesem Gleichnis, das sicher eines der bekanntesten des Evangeliums ist (Lukas 15.11-32), spricht Jesus von einem reichen Mann, der zwei Söhne hatte. Der Jüngste jedoch, aufsässig und undankbar, verliess das Elternhaus, nachdem er seinen Erbanteil schon zu Lebzeiten seines Vaters verlangt hatte. Als  er aber nach einem unmoralischen Leben seinen ganzen Besitz verschwendet hatte, wurde er von einer plötzlichen Hungersnot überrascht trotz einer Arbeit als Hüter von Schweinen, die aber viel besser ernährt waren als er. In seinem Elend und seinem extremen, moralischen Leid wurde ihm sein sündiger Zustand bewusst und alles, was er früher in seinem Elternhaus bekommen hatte. Da er sich nicht mehr für einen würdigen Sohn hielt, beschloss er, zu seinem Vater zurückzukehren, ihn um Vergebung zu bitten und sich um einen einfachen Posten als Arbeiter in der Familie zu bewerben, um nur überleben zu können. Er war sich wirklich des Bösen bewusst und schämte sich für alles, was er seinem Vater angetan hatte. Er war auch bereit, für die Folgen seiner Missetaten zu büssen.

Der Empfang seitens des Vaters war wirklich überraschend. Anstatt seinen undankbaren und trotzigen Sohn abzuweisen, der von seiner schlechten Vergangenheit gezeichnet war (zerrissene Kleidung, eklige Schuhe und nach Schweinen stinkende Haare), lief ihm sein Vater sogar entgegen, um ihn zu umarmen und empfing ihn voll Liebe und Mitleid. Er zog ihm sofort seine Lumpen aus, gab ihm saubere Schuhe und den Familienring als Zeichen der Zugehörigkeit zu seinem Haus. Der Sohn hatte noch nicht einmal sein Schuldbekenntnis beendet, als der Vater schon zu seinen Ehren ein Fest ausrichten liess für den Sohn, der früher geistlich tot war und jetzt wieder ins wahre Leben zurückgekommen war. Die spontane Vergebung des Vaters zeigt uns die bedingungslose Liebe zu seinem Sohn und das Fest zu seinen Ehren die Freude über seine Heimkehr.

Es ist interessant, einen Vergleich mit den Personen zu ziehen, die gottlos gelebt oder nach einer geistlichen Erfahrung den guten Weg wieder verlassen haben. Ganz eindeutig ist die Anziehungskraft des mondänen Lebens oft stärker als das im Menschen verankerte Bedürfnis, Gott anzubeten. Allzu viele Menschenleben wurden schon vergeudet und Familien zerrissen wegen der fatalen Folgen der schlechten Wahl einiger aufsässiger und ehrgeiziger Familienmitglieder, die vor allem nach ihrem eigenen Ruhm strebten, anstatt den Schöpfer des Lebens zu verherrlichen. Aber glücklicherweise ist noch nicht alles verloren, denn Gott, unser barmherziger Vater, wacht über seine Geschöpfe und erlaubt manchmal schmerzliche Situationen, um das Gewissen der Rebellen aufzurütteln. Oft müssen diese leider wirklich sehr tief fallen, sei es im physischen, materiellen und moralisch-seelischen Bereich, um endlich zu der Erkenntnis zu kommen, dass sie nicht viel darstellen im Vergleich zur göttlichen Allmacht.

Gott sei Dank erkennt manchmal das «verlorene Schaf» seine Undankbarkeit, wenn alles schief geht, und versucht wieder, in sein Heim zurückzukehren. Eine aufrichtige Reue ist das einzige Mittel, um einen Schlusstrich unter das vergeudete Leben zu ziehen und unter guten Bedingungen wieder ganz von vorn anzufangen. In jedem Fall unternimmt Gott alles Mögliche, damit sein ursprünglicher Plan des Glückes für den bussfertigen Sünder verwirklicht werden kann. So wie der mitleidige Vater im Gleichnis seinen verlorenen Sohn empfing, wird auch der Reumütige immer von seinem Vater im Himmel mit offenen Armen empfangen.

Dieser aufsässige Sohn, der in seinem erbärmlichen Zustand nach Hause zurückkommt so wie er ist, stellt alle Sünder dar, die sich spontan zu Christus hinwenden. Obwohl noch viele von ihrem unmoralischen Leben gezeichnet sind, urteilt Gott nicht nach dem Äusseren, sondern schaut nur auf das Herz. Er allein kann die Gedanken aller Menschen mit Hilfe des Heiligen Geistes, dem nichts verborgen bleibt, erforschen. Bei der Bekehrung genügt es, dass sich der Reumütige völlig Gott anvertraut und nicht versucht, sich nur aus eigener Kraft dank seiner guten Werke zu bessern. Dann empfängt Gott mit Freuden, wie der Vater in der Parabel, jede reumütige Person, denn «so wird man sich auch im Himmel über einen verlorenen Sünder, der zu Gott umkehrt, mehr freuen als über 99 andere, die es nicht nötig haben, Busse zu tun» (Lukas 15.7, Hoffnung für alle). Das bestätigt auch nachdrücklich Antonio Buoncristiani, Bischof von Santo Ruffina: «Im Paradies gibt es auch einen "Applausmesser"; wenn ein grosser Sünder sich bekehrt, erreicht ein Freudenausbruch seinen Höchstwert. Es ist sicher eine naive Art, die unendliche Liebe Gottes, unseres Vaters, auszudrücken, so wie Jesus sie uns offenbart hat und die man nur in einem Gleichnis anwenden kann (2).»

Aber wie steht es eigentlich mit dem ältesten Sohn, der dem Vater immer treu gedient hatte? Anscheinend konnte er sich überhaupt nicht über die Rückkehr seines jüngeren Bruders freuen. Im Gegenteil, er lehnte es ab, an den Festlichkeiten zu dessen Ehren teilzunehmen, wurde zornig und betonte, dass sein Vater trotz der langjährigen und perfekten Dienste noch nie Feste für ihn veranstaltet hatte. Er betrachtete seine Arbeit im Elternhaus nur als eine Pflicht und nicht als ein Privileg. Dieser gehorsame Sohn hatte zwar seinem Vater treu gedient, ohne aber dabei die geringste Freude zu empfinden und versäumte es nun nicht, all seine im Schweisse des Angesichts erfüllten Dienste hervorzuheben. Er glaubte, wegen seiner Arbeit die Liebe und den Respekt seines Vaters zu verdienen. Es war ihm überhaupt nicht klar, dass die Liebe ein Geschenk ist. In Wirklichkeit war der Älteste der verlorene Sohn, denn er handelte wie ein Selbstgerechter, der seinen Mitmenschen gegenüber gefühllos war. Auf Grund seiner Eifersucht erkannte er die Würde seines jüngeren Bruders sowie sein Recht auf Vergebung und Liebe seitens des Vaters nicht an.

Viele «anständige» Christen verhalten sich auch wie der älteste Sohn, indem sie unzählige Aufgaben und allerlei undankbare Arbeiten verrichten, um die Liebe Gottes zu gewinnen, den sie für einen unversöhnlichen Richter halten! Sie empfinden keine Freude dabei, seinen Namen durch ihre täglichen Aktivitäten zu verherrlichen. Im Gegenteil, alles wird nur wie eine einfache Pflicht angesehen. Diese Selbstgerechten haben nicht das Bedürfnis, die Vergebung Gottes und seine Liebe zu empfangen, weil sie glauben, dass sie die göttliche Gunst durch ihre einwandfreien Werke gewinnen können. Sie erkennen nicht die Notwendigkeit einer wahren Bekehrung und die Veränderung ihres Charakters. Manche denken sogar, Gottes Vergebung kann die Sünder gar nicht erreichen. Deshalb neigen sie z.B. dazu, all diejenigen zu verurteilen, die nicht ihrer Kirche angehören, die aber eines Tages auch Söhne und Töchter im Reich Gottes werden möchten. Oft fühlen sich diese «treuen und älteren Kirchenmitglieder» den anderen gegenüber weit überlegen wegen ihrer guten Werke und verdienstlichen Taten und lehnen die «Leute von draussen» gnadenlos ab, weil ihre unmoralische Vergangenheit bei ihnen Spuren hinterlassen hat. Dann ist Gott, wie der barmherzige Vater in der Parabel, über das abweisende Verhalten dieser herzlosen Christen betrübt. Die Aufnahme eines neuen Mitglieds oder Wiederaufnahme eines «verlorenen Schafes» in einer christlichen Gemeinde sollte jedoch eher ein Anlass für ein Festmahl und eine fröhliche Feier sein... wie in dem Gleichnis!

Karin Bouchot

 

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1. Antonio Buoncristiani, «La joie du père pour le retour de son fils», People on the Move - n° 83, September 2000, [En ligne] http://www.vatican.va/, (consulté en décembre 2012).
2. Ibid.

 
 
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